Die Digitalisierung hat schon seit Jahrzehnten für Umbrüche in der Arbeitswelt gesorgt. Mit dem Aufkommen tatsächlich gut funktionierender KI-Systeme stehen allerdings Veränderungen an, die alles bisher dagewesene in den Schatten stellen könnten. Wohin geht die Reise?
(ps) Das die Arbeitswelt sich stetig wandelt, ist beileibe nichts Neues. Im Laufe der Jahrhunderte kamen zahllose Berufe auf und verschwanden wieder, wandelten sich grundlegend, wurden durch andere Berufe oder neue Technik überflüssig, haben neue Aufgaben bekommen. Und die Neuzeit ist an Umbrüchen dieser Art nicht arm: Mit der Industrialisierung und damit dem Übergang von einer Manufaktur- zu einer Industriegesellschaft ging es los und mit dem Aufkommen der Computertechnologie wurde die jüngste Stufe erreicht. Viele Berufe, die noch in den 50er und 60er Jahren fest zum Alltag gehörten, sind heute nur noch ein paar Linien Code in einem Steuerprogramm.
Schon Karl Marx warnte zu Zeiten der Industrialisierung davor, dass der Arbeiter bzw. die Arbeiterin durch Maschinen ersetzt werden würde – und ganz ähnliche Warnungen wurden auch über die Digitalisierung ausgesprochen, nur dass es da schon nicht mehr allein die Arbeiter waren, deren Jobs bedroht sind. Doch mit dem jüngsten Aufkommen tatsächlich gut funktionierender KI-Systeme scheinen die Arbeitswelt und die ganze Gesellschaft vor gänzlich neuen, tiefgreifenden Veränderungen zu stehen.
Es hat nur wenige Jahre gedauert (die erste breitenwirksame Version von ChatGPT kam Ende 2022 auf den Markt) und schon sind die Umwälzungen überall im Gange: Im ganzen Bildungssektor gibt es praktisch ein Vor und Nach ChatGPT, und in immer mehr Branchen und Berufen wird deutlich, welche Rollen KI in Zukunft übernehmen könnte. Und es wird zunehmend klar, dass nicht alle gleich betroffen sind – besonders Berufseinsteiger*innen spüren bereits jetzt den Wandel. Und wie das ZDF berichtet habe eine Umfrage von YouGov im Sommer 2025 gezeigt, dass darüber hinaus ein Drittel der Berufstätigen um ihren Job bangen.
Welche Berufe sind besonders gefährdet?
Eine aktuelle Studie zeigt: KI-Systeme wie Microsoft Bing Copilot werden vor allem für Tätigkeiten eingesetzt, die mit dem Sammeln von Informationen, dem Schreiben, Beraten oder Unterstützen zu tun haben. Die Autor*innen berechnen für eine ganze Reihe an Berufe einen sogenannten „AI applicability score“ und identifizieren die besonders stark von KI „betroffenen“ Berufsgruppen – darunter Büro- und Verwaltungstätigkeiten, Wissenstätigkeiten, Assistenz- und Kommunikationsaufgaben. Konkret wären das etwa Journalist*innen, ironischerweise Programmierer*innen und andere IT-nahe Berufe wie Webdesigner*innen, Dolmetscher- und Übersetzer*innen, Grafikdesigner*innen, Berufe im Kundenservice uvm.
Auch in Deutschland mehren sich Befunde, dass gerade typische Einstiegs- und Assistenzjobs gefährdet sind. So analysierte Stepstone den Anteil an Stellenanzeigen für Berufseinsteiger*innen und fand heraus, dass dieser seit 2023 stark gesunken ist: Im ersten Quartal 2025 lag er 45 Prozent unter dem Fünfjahresdurchschnitt. Dies deute darauf hin, dass viele Unternehmen seltener neu einstellen oder Aufgaben neu strukturieren. Der NDR macht unter Verweis auf Analysen der Plattform Indeed darauf aufmerksam, dass das gesunkene Interesse an Berufseinsteiger*innen im Vergleich zu Berufserfahrenen auffällig mit der Einführung von ChatGPT zusammenfällt. In Bereichen mit stark strukturierten, wiederkehrenden Aufgaben könnten viele Aufgaben von KI übernommen werden – insbesondere solche, die bislang oft an junge, wenig erfahrene Beschäftigte vergeben wurden. Vor allem in den Feldern Kundenservice, Marketing, Kommunikation und bei administrativen Tätigkeiten, aber auch bei Kontrolltätigkeiten etwa in Kanzleien und Versicherungsunternehmen ist der KI-Einsatz bereits heute vielerorts im Gespräch oder schon umgesetzt – auch wenn derzeit noch längst nicht alle Firmen KI nutzen.
Ein weiterer Befund: In einer Studie der Beratungsgesellschaft McKinsey wird prognostiziert, dass bis 2030 rund drei Millionen Arbeitsplätze in Deutschland durch KI und Automation verändert werden könnten – ungefähr 7 Prozent der Beschäftigung. „Berufswechsel“ nennt McKinsey das. Auch hier das Ergebnis: Besonders stark betroffen seien Bürotätigkeiten, Kundenservice und Vertrieb.
Und wie es scheint, führt an dem Wandel kein Weg vorbei. Eine aktuelle Umfrage des Branchenverbands Bitkom zeigt, dass nun erstmals eine knappe Mehrheit der Unternehmen KI „für entscheidend, um wettbewerbsfähig zu bleiben“ hält – Tendenz steigend. Zugleich habe die Zahl der KI-Skeptiker*innen von 46 Prozent auf 31 Prozent abgenommen und lediglich 17 Prozent der befragten Unternehmen „sehen in KI kein Thema“.
Was bedeutet das für deine Karriereträume?
Für dich in der Berufsorientierung heißt das: Die Rahmenbedingungen verschieben sich. Du wirst weniger reine „Einstiegsjobs“ im klassischen Sinn finden, vor allem in Bereichen, in denen KI Aufgaben übernehmen kann oder schon übernimmt. Viele Unternehmen fordern heute zudem mehr Spezialisierung, KI-Kompetenzen oder Erfahrungen, die früher erst nach einigen Jahren kamen. Wichtiger denn je werden deshalb auch Praktika – sowohl, um Erfahrungen zu sammeln, als auch um Kontakte in die Unternehmen herzustellen.
Doch das alles heißt nicht, dass die Chancen verschwinden – sie verändern sich. Wer früh lernt, KI nicht als Konkurrentin zu sehen, sondern als Werkzeug, kann sich einen Vorteil verschaffen. Wer in der Lage ist, mit KI zusammenzuarbeiten, sie zu steuern, Ergebnisse zu bewerten und kritisch einzuordnen, wird gefragt sein – vor allem in Rollen, wo kreative Entscheidungen, Strategie, Empathie, interdisziplinäres Denken oder kritisches Urteilsvermögen gefragt sind – Bereiche, in denen menschliches Urteil weiterhin schwer zu automatisieren ist.
Zudem ist längst nicht klar, wo die Reise am Ende hinführen wird. Auch Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst betont gegenüber Radio Bielefeld, dass die Auswirkungen von KI auf den Arbeitsmarkt nur schwer abzuschätzen seien. Immerhin gehen 67 Prozent der Unternehmen davon aus, dass KI keine Auswirkungen auf ihre Beschäftigtenzahlen haben werde, und jene Unternehmen, die von einem Rückgang ausgehen, rechnen mit noch moderaten 7 Prozent. Und das „AI Jobs Barometer 2025“ des Wirtschaftsprüfungsunternehmens PwC sieht KI klar als „Wachstumstreiber“ und nicht als „Jobkiller“. So seien auch in auf den ersten Blick eher KI-fernen Branchen wie der Landwirtschaft und dem Bausektor viele neue Stellen entstanden, die mit KI-Unterstützung arbeiten – und wo also KI-Skills gefragt sind.
„Die Daten legen nahe, dass Unternehmen KI nicht primär einsetzen, um Arbeitskräfte zu sparen, sondern ihre Mitarbeiter:innen wertvoller und produktiver zu machen“, so PwC. Aber eben auch: „KI verändert dabei auch die Qualifikationsanforderungen, die Arbeitnehmer:innen für ihren Erfolg benötigen.“ Petra Raspels von PwC Deutschland betont: „KI hat das Potenzial, mehr Arbeitsplätze zu schaffen, als sie verdrängt, wenn sie als Wegbereiter für neue Formen der Wirtschaftstätigkeit eingesetzt wird.“
Die Zeiten werden also nicht einfacher, aber es ist längst nicht alles so bedrohlich, wie es manchmal dargestellt wird. Ja, es wird Verluste geben – aber auch neue Chancen. Menschen, die sich heute in der Berufsorientierung befinden, sind jedoch mehr gefordert als frühere Generationen: Noch nie war es so wichtig, sich gute und vor allem aktuelle Informationen über den Wunschberuf, über die Wunschkarriere zu holen. Und auch persönliche Kontakte, etwa über Berufsmessen oder Praktika, werden noch wichtiger als früher.
Quellen:
Cornell University: „Working with AI: Measuring the Applicability of Generative AI to Occupations“, Kiran Tomlinson et al., 09.09.2025; online: arxiv.org/abs/2507.07935
Hessenschau: „Wo Kollegin KI künftig Jobs übernehmen könnte“, Petra Boberg, Thiemo Kremser, 03.10.2025; online: www.hessenschau.de/wirtschaft/fraport-messe-frankfurt-pwc-wo-kollegin-ki-kuenftig-jobs-uebernehmen-koennte-v2,ki-jobs-100.html
McKinsey & Company: „KI beschleunigt Umbrüche am Arbeitsmarkt: Produktivitätsschub von 3% möglich“, PM vom 23.05.2024; online: www.mckinsey.de/news/presse/2024-05-23-mgi-genai-future-of-work
NDR: „KI verändert Jobmarkt drastisch: Berufseinsteiger besonders betroffen“, Isabel Lerch, 19.08.2025; online: www.ndr.de/nachrichten/info/ki-veraendert-jobmarkt-drastisch-berufseinsteiger-besonders-betroffen,kinachwuchs-100.html
PwC: „PwCs AI Jobs Barometer 2025“, 17.06.2025; online: www.pwc.de/de/workforce-transformation/ai-jobs-barometer.html
Radio Bielefeld / dpa: „Mehrheit der Firmen hält KI für entscheidend im Wettbewerb“, 15.09.2025; online: www.radiobielefeld.de/service/netzthemen/berlin-mehrheit-der-firmen-haelt-ki-fuer-entscheidend-im-wettbewerb.html
The Steptone Group: „Stepstone Analyse: Weniger Einstiegsjobs, längere Bewerbungsprozesse“, PM vom 12.08.2025; online: www.thestepstonegroup.com/deutsch/newsroom/pressemitteilungen/stepstone-analyse-weniger-einstiegsjobs-laengere-bewerbungsprozesse/
ZDF heute / dpa: „KI: Viele Beschäftigte sehen Job in Gefahr“, 23.08.2025; online: www.zdfheute.de/wirtschaft/ki-arbeitsplatz-sorge-umfrage-100.html
08.10.2025