Eine neue Studie legt nahe, dass sich über die Hälfte der Azubis Gamification-Elemente in der Ausbildung wünschen. Was auf Englisch cool und hip klingt, ist jedoch erstmal nichts anderes als die Wiedereinführung der Sternchentafel aus der Grundschulpädagogik.
(ps) Man soll die Menschen ja bekanntlich da abholen, wo sie stehen. Und die Generation Z – bald gefolgt von der Generation Alpha – steht mitten in einer Welt, die aus Games, Apps und Social Media besteht. Wer damit aufwächst, lernt früh, dass jedes Tun eine Rückmeldung erzeugt: ein Like, ein Level, ein Achievement. In dieser Logik ist jeder Schritt sichtbar, messbar, gamifiziert. Neben Social Media sind dabei digitale Spiele der größte Zeitvertreib: wie der Branchenverband Bitkom berichtet, spielen 91 Prozent der 10- bis 12-jährigen „zumindest hin und wieder Video-, Computer- oder Online-Spiele“, im Durchschnitt 81 Minuten täglich. Bei den 13- bis 15-jährigen sind es 87 Prozent (99 Minuten täglich), bei den 16- bis 18-jährigen 80 Prozent (106 Minuten täglich). Gaming ist also unter den Jugendlichen flächendeckend im Alltag verankert.
Da wundert es nicht, dass Gamification – also das Einsetzen spieltypischer Elemente in einem Kontext, der nicht direkt mit Spielen zu tun hat – vermehrt zum Thema wird. Gestärkt wird dieser Trend auch aus der Popkultur selbst, die natürlich ebenfalls erkannt hat, dass Gaming-Elemente bei der Jugend ankommen. Beispielsweise zeigen sich in Animes schon seit einigen Jahren bemerkenswerte Gamification-Trends: vor allem im Fantasy- und Isekai-Genre ist es inzwischen keine Seltenheit mehr, dass sich die in andere Welten versetzten Held*innen in einer Situation wiederfinden, in der sie auf mehr oder minder magische Weise ihren eigenen Charactersheet mit Erfahrungspunkten, Leveln, Skills & Co. einsehen können. Sie leben in einer Welt, in der sich all ihre Aktivitäten auf ihre Skills und Level auswirken und der Fortschrittsbalken in Echtzeit verfolgt werden kann. Gamification-Phantasien sind also längst nicht nur auf das reale Leben, auf Schule und Ausbildung bezogen, sondern durchdringen inzwischen auch Teile der Popkultur selbst.
Jugendliche wünschen sich mehr Gamification
Nun hat die „Azubi-Recruiting Trends 2025“-Studie von u-form und AUBI-plus Licht auf die Frage der Gamification der Ausbildung geworfen. Demnach wünschen sich von den knapp 5.500 befragten Jugendlichen beachtliche 54,4 Prozent sogenannte Fortschrittsbalken – im Gamingkontext die Anzeige für die Erfahrungspunkte bzw. den Fortschritt fürs nächste Charakterlevel. Weiterhin wünschen sich 47,6 Prozent Achievements – das können in-game Auszeichnungen für erreichte Errungenschaften oder Etappensiege sein, Achievements gibt es aber auch auf den Gaming-Anbieterplattformen wie Steam: dort wird die Errungenschaft (z.B. „Erreiche Level 10“) begleitet von dem Hinweis, wie viele Spieler*innen diese Errungenschaft ebenfalls erreicht haben. Strukturell ähnelt das den Abzeichen der Pfadfinder.
Und schließlich wünschen sich 46 Prozent der befragten Jugendlichen Erfahrungspunkte. Dieser mit dem Fortschrittsbalken vergleichbare Ansatz ist im Prinzip eine Fortsetzung der Sternchentafel bzw. der Fleißbienchen aus der Grundschule. Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, hier eine Infantilisierung des Lernfeedbacks in der Ausbildung zu beobachten. Gleichzeitig zeigen sich darin aber auch grundlegende Bedürfnisse: nach Transparenz der Aufgaben, nach Feedback, nach Motivationsanreizen.
Gamification vermittelt unmittelbare Rückmeldung – und das auf eine Weise, die junge Menschen aus ihrem digitalen Alltag gewohnt sind. Wer täglich durch Levels, Rankings und Belohnungsschleifen navigiert, reagiert sensibel auf Fortschrittssignale. Ein blinkender Balken oder ein virtuelles Abzeichen ersetzen vielleicht kein echtes Lob, machen aber Leistung und Erfolg sichtbar – und Sichtbarkeit ist die Währung der digitalen Generationen.
Didaktisch kann das durchaus sinnvoll sein. Die Lernforschung zeigt, dass regelmäßiges, kleinschrittiges Feedback den Lernfortschritt messbar verbessert. Fortschrittsanzeigen können dabei helfen, Motivation über längere Lernstrecken aufrechtzuerhalten – insbesondere in Phasen, in denen der Ausbildungserfolg noch weit entfernt scheint. Auch das Prinzip der Selbstwirksamkeit, also das Erleben, dass das eigene Handeln Wirkung zeigt, lässt sich über solche Systeme gezielt fördern.
Nicht ohne Risiken
Doch es gibt auch Risiken: Wo Fortschritt visualisiert wird, entsteht natürlich Wettbewerb. Wer vorne liegt, fühlt sich bestätigt; wer hinterherhinkt, wohlmöglich entmutigt. „Durch Gamification im Unternehmens- und Schulkontext kann auch sozialer Druck, negative Gefühle und Demotivation für die Teilnehmenden erzeugt werden“, sagt die Gamification-Forscherin Sophie Jent von der TH Lübeck gegenüber Laura Basten für die bpb. Es könne sogar passieren, dass Gamification-Elemente Motivation von vornherein ersticken. Hier sei entscheidend, wie und zu welchen (Teilnahme-)Bedingungen Gamification-Elemente im Betrieb eingeführt werden.
Und die Verführung, Lernen in Punkte zu übersetzen, kann auch die intrinsische Motivation, d.h. freiwillig selber lernen zu wollen, verdrängen: Man lernt dann nicht mehr, um zu verstehen – sondern, um zu „leveln“ und das nächste Sternchen, das nächste Achievement zu erreichen. Selbst Fürsprecher des Gamification-Ansatzes mahnen an, dass eine Überbetonung der extrinsischen Motivatoren die intrinsische Motivation verdrängen könne. Das wäre insbesondere im Ausbildungsbereich problematisch, da die Azubis noch viel zu lernen haben – auch noch nach ihrer Ausbildung und dann im Zweifel plötzlich ganz ohne Gamification-Mechanismen.
Und nicht zuletzt mahnen Kritiker*innen, dass „der Grat zwischen Motivationssteigerung und Ausbeutung im Arbeitsleben schmal sei.“ Laura Basten führt aus: „Wollen Unternehmen ihre Produkte, ihren Code, ihre Onboarding-Prozesse wirklich zum Wohle aller Beteiligten verbessern oder geht es vielmehr darum, Einnahmen zu steigern und Mitarbeiter*innen miteinander vergleichbar zu machen und so unter Druck zu setzen?“ Doch selbst wenn dabei keine solche sinistren Vorhaben verfolgt werden – es ist ohne jeden Zweifel ein zusätzliches Hamsterrad, das die Mitarbeiter*innen bespielen müssen.
Verwendung in Unternehmen
Insgesamt nutzen Unternehmen Gamification-Elemente noch eher zurückhaltend. Laut Recruiting-Studie verwenden 37,1 Prozent der Unternehmen Fortschrittsbalken, 26,3 Prozent verwenden Achievements und 29 Prozent nutzen Erfahrungspunkte. Ob dies nur für die Azubis gilt oder auch im Unternehmen insgesamt eingesetzt wird, ist dabei unklar. Auch finden sich bis dato kaum andere Hinweise auf die Nutzungshäufigkeit von Gamification in deutschen Unternehmen. Was sich allerdings durchaus bemerken lässt, ist eine auffällige Dichte von Anbietern, die Gamification-Lösungen für Unternehmen feilbieten. Dennoch: Die Rückkehr der Sternchentafel – diesmal digital und mit schicken Icons – ist wohl kaum aufzuhalten. Unternehmen, Schulen und Bildungsträger experimentieren längst mit Apps, die Lernfortschritte tracken, Abzeichen verleihen oder Rankings erzeugen.
So ist die Renaissance der Sternchentafel im Digitalformat möglicherweise auch Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels in Lern- und Arbeitskulturen. Gamification – womit wir wieder beim Anfang wären – holt die Menschen da ab, wo sie stehen – und das ist eine Welt, die auf unmittelbares Feedback, Fortschrittssymbole und digitale Sichtbarkeit ausgerichtet ist. Richtig eingesetzt, kann sie Lernprozesse transparenter und motivierender machen. Dabei darf nur das eigentliche Ziel nicht aus dem Blick zu geraten: das ist nicht das Sammeln von Sternchen, sondern das Lernen und Verstehen.
Quellen:
Bitkom: „Gaming: Kinder und Jugendliche spielen rund 1,5 Stunden pro Tag“, Dr. Anja Weber, 08.01.2025; online: bitkom-research.de/news/gaming-kinder-und-jugendliche-spielen-rund-15-stunden-pro-tag
bpb: „Gamification: Grundbegriffe, Chancen und Risiken“, Laura Basten, 28.03.2022; online: www.bpb.de/themen/kultur/digitale-spiele/504558/gamification-grundbegriffe-chancen-und-risiken/
Freie und Hansestadt Hamburg / Behörde für Schule und Berufsbildung: „Abschlussbericht für den Schulversuch ‚alles»könner‘“, Sophie Haiker, 12/2020; online: www.hamburg.de/resource/blob/151678/48ce5dd0a28dd055ed57d976d075f6dc/abschlussbericht-data.pdf
Geco Group: „Spielend zum Erfolg – mit Gamification“, o.A., 02.05.2022; online: www.geco-group.com/presse/beitrag/spielend-zum-erfolg-mit-gamification/
Haufe Akademie: „Gamification in der Personalentwicklung“ (Blog), o.A., 01.08.2025; online: www.haufe-akademie.de/digital-suite/blog/ds-gamification/
Mittelstand-Digital Zentrum Chemnitz: „Mit Gamification und KI die Produktivität im Unternehmen steigern“, Martin Uhlmann, o.D.; online: digitalzentrum-chemnitz.de/wissen/gamification/
Sirato Group: „Gamification im Unternehmen: Einsatzbereiche, Erfolgsfaktoren und Zukunftspotenzial“, o.A., o.D.; online: www.sirato-group.com/insights/gamification-im-business/
U-form Testsysteme GmbH & Co KG: „Mangelhaftes Wissen über soziale Absicherung – Studie Azubi-Recruiting Trends 2025 zeigt Lücken in der dualen Ausbildung“, PM vom 15.10.2025; online: www.presseportal.de/pm/104017/6138102
Jugendleiter Blog: „Manga und Anime in der Jugendkultur“, o.A., 08.08.2024; online: www.jugendleiter-blog.de/2024/08/08/manga-und-anime-in-der-jugendkultur/
16.10.2025