Unterricht in der Natur eröffnen neue Wege des Lernens. Sie wird zum aktiven Bildungsraum, der Wissen mit Erfahrung verbindet. So entsteht Schule, die bewegt – im Kopf und draußen.
(ps) In einer Zeit, in der Bildschirme das Leben vieler Kinder und Jugendlicher dominieren, gewinnt die Rückbesinnung auf naturbezogene Lernorte zunehmend an Bedeutung. Natur- und Umweltpädagogik – das Lernen in, von und mit der Natur – erfreut sich stetig wachsender Beliebtheit. Die Natur als außerschulischer Lernort bietet dabei viel mehr als nur eine grüne Kulisse. Sie ist ein lebender Bildungsraum. Der Wald, der Schulgarten oder auch der Stadtpark können dabei zum Klassenzimmer unter freiem Himmel werden.
Wiederentdeckung des Schulwaldes
An einigen Schulen gibt es ihn noch – den Schulwald. Die in den späten 1940ern in Schleswig-Holstein entstandene Idee hatte ihre Hochzeiten in den 70er und 80er Jahren und traf damals den Zeitgeist. Die beginnenden Umweltschutzbewegungen, die Gründung der Grünen 1980, das Waldsterben in den frühen 1980ern – das alles lieferte genug Gründe, um Natur und Pädagogik zu verbinden. Doch in den Jahrzehnten danach fielen viele Schulwälder in einen Dornröschenschlaf – und mancherorts wurden sie auch gerodet, um neuen Vorhaben Platz zu machen.
Doch dies ändert sich seit einigen Jahren wieder. Wer heute das Stichwort „Schulwald“ googelt, findet zahllose aktuelle Nachrichten über verschiedenste Schulwaldprojekte in ganz Deutschland: von Duisburg über Ritterhude bis nach Wildeshausen, überall entstehen neue Schulwälder oder alte Schulwälder werden erweitert. Diese wichtigen außerschulischen Lernorte werden in Zeiten des Klimawandels, des Insekten- und Vogelsterbens sowie der zunehmenden Naturentfremdung der Jugend wieder interessant und relevant. „Kinder und Jugendliche haben immer weniger Bezug zur Natur. Viele kennen nicht einmal die häufigsten Baumarten“, erläutert Elisabeth Hüsing, Direktorin der Stiftung Zukunft Wald in Niedersachen, gegenüber dem Friedrich-Verlag.
Schüler*innen pflanzen Bäume, pflegen im Rahmen des Unterrichts und freiwilliger AGs Teilflächen, beobachten ökologische Abläufe und lernen so Natur‐ und Umweltzusammenhänge gewissermaßen am lebenden Objekt. Der Wald wird damit zum ergänzenden Lernfeld jenseits der klassischen Klassenräume. Dabei können neben den Pflanzen auch Vögel und Insekten zum Untersuchungsgegenstand werden. Elisabeth Hüsing betont: „Ein Schulwald ist wie ein Freiluftlaboratorium; er bietet zahllose Gestaltungs- und Beobachtungsmöglickeiten.“
Die Initiative für Schulwälder gehe oft von den Lehrkräften oder auch den Schüler*innen aus, berichtet Hüsing – weil man handeln und nicht nur reden wolle. Da Schulen nur in den seltensten Fällen so günstig liegen, dass ein Schulwald direkt nebenan entstehen kann, unterstützt die Stiftung interessierte Schulen in Niedersachsen bei der Suche nach passenden Flächen, bei rechtlichen Fragen, dem Kontakt mit Grundbesitzer*innen und Behörden, bis hin zur Pflege des dann entstehenden Waldstücks. Vergleichbare Stiftungen und Vereine finden sich aber in jedem Bundesland.
Neue Wege in Unterfranken
Das Stichwort „Klassenzimmer unter freiem Himmel“ wörtlich nehmen derzeit Schulen in Unterfranken: im Rahmen eines Forschungsprojektes mit mehreren Verbundpartnern erproben drei Schulen unterschiedliche Formen des „Draußenunterrichts“. Hier findet nun einmal pro Woche der Unterricht nicht mehr in der Schule statt, sondern im Wald, im Schulgarten, und auf einer freien Grünfläche. Dabei geht es aber nicht nur um Naturkunde und Biologie – der ganze Unterricht findet im Freien statt, auch etwa Mathe, Deutsch oder Englisch.
Die am Projekt beteiligte Julius-Maximilians-Universität Würzburg erläutert in einer Mitteilung die Gründe: „Immer mehr Kinder und Jugendliche in Deutschland bewegen sich zu wenig, verbringen immer mehr Zeit mit digitalen Medien und weisen mitunter psychische Auffälligkeiten auf. Auch Lehrkräfte spüren den Druck. Stress, Lärm und Bewegungsmangel prägen den Schulalltag. Ein innovativer Ansatz rückt nun immer mehr in den Fokus – der Draußenunterricht verspricht Entlastung und neue Impulse für Lernen und Wohlbefinden.“
Dabei machen die Forschenden keine speziellen Vorgaben zum Ablauf. Derzeit stehen Beobachtung und Evaluation im Mittelpunkt: „Für uns stehen mehrere Fragen im Raum, unter anderem: Wie verändert sich der Unterricht? Was passiert mit dem Lernen? Lassen sich die Schülerinnen und Schüler womöglich leichter ablenken? Oder wirken sie weniger gestresst und lassen sich von der Natur auf bestimmte Art und Weise ansprechen? Wie gehen sie und die Lehrkräfte mit der neuen Situation um?“, erläutert Lukas Kleinhenz von der Uni Würzburg. „Uns ist wichtig, unvoreingenommen an die Sache heranzugehen“, betont Professor Stephan Ellinger. Konzepte für den Draußenunterricht sollen erst nach der Auswertung der Praxiserfahrungen an den drei Schulen erarbeitet werden.
Gute Chancen auf Erfolg mit Draußenunterricht legen verschiedene psychologische und sozialpsychologische Studien nahe: etwa Richard Ryan, Psychologie-Professor an der Universität Rochester, New York, hat erforscht, welche Auswirkungen Naturerfahrung auf die Psyche der Menschen hat. Sein Ergebnis: Natur macht uns netter. Sie wecke soziale Gefühle; Gemeinschaft und enge Beziehungen würden höher bewertet und das allgemeine Verhalten werde rücksichtsvoller. Andere Forschungen haben bereits gezeigt, dass Naturerfahrungen, tatsächlich angefangen bei Topfpflanzen, weiter über Bilder von grüner Natur, bis hin zur realen Erfahrung, auch Stresslevel senken kann und die körperliche und psychische Gesundheit verbessern.
Außer wirklich schlechtem Wetter gibt es somit kaum einen Grund, die Natur als Lernort nicht in den Schulalltag zu integrieren. Dass das auch dringend nötig ist, zeigt eine aktuelle Studie der TU Berlin: Hier sollten u.a. Jugendliche zwölf Arten von Vögeln, Schmetterlingen und Pflanzen benennen. Dabei gelang es keinem Teilnehmenden, alle zwölf Arten zu benennen – und selbst die buchstäblich überall zu findende Brennessel wurde von 14 Prozent nicht erkannt. 27 Prozent erkannten Brombeeren nicht, und 97 Prozent kannten den Schmetterling Kleiner Fuchs nicht. Doch es zeigte sich nicht nur ein Wissensproblem: gleichzeitig nahmen „Naturverbundenheit und die Bereitschaft, sich für die Natur einzusetzen, signifikant von älteren hin zu jüngeren Teilnehmenden ab“, wie Telepolis berichtet. Vor diesem Hintergrund scheint es höchste Zeit für eine Renaissance der Natur- und Umweltpädagogik zu werden.
Quellen:
Friedrich-Verlag: „Schulwälder gegen Klimawandel“, Eva Walitzek, o.D.,; online: https://www.friedrich-verlag.de/friedrich-plus/schule-paedagogik/klassenleitung/soziales-lernen-klassengemeinschaft/schulwaelder-gegen-klimawandel/
Julius-Maximilians-Universität Würzburg: PM „Schulunterricht draußen im Wald“, Gunnar Bartsch, 21.10.2025; online: https://idw-online.de/de/news860066
Stiftung Zukunft Wald: „Schulwälder gegen Klimawandel“; online: https://www.zukunftwald.de/schulwaelder-gegen-klimawandel
Telepolis: „Generation Z verliert Bezug zur heimischen Natur“, Susanne Aigner, 08.06.2025; online: https://www.telepolis.de/features/Generation-Z-verliert-Bezug-zur-heimischen-Natur-10425367.html
22.10.2025