Die Welt scheint aus den Fugen zu geraten: die Zahl der bewaffneten Konflikte weltweit ist auf einem Rekordhoch und die jahrzehntealte politische Stabilität des Westens gerät ins Wanken. Was soll man da schon machen?
„Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf.“
Dieses gerne fälschlich Goethe zugeschriebene Zitat (was hat der gute Mann auch nicht gesagt?) hält sich seit den 1960er Jahren im Wortschatz der Deutschen, obwohl der Ursprung offenbar ein zufälliges Photo in einer regionalen Tageszeitung war – so nachdrücklich ist die Botschaft dieses Satzes, dass es ihm trotzdem gelang, ins Bewusstsein der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit vorzudringen. Denn aus diesem einen, einfachen Satz lässt sich im Prinzip alles ableiten, was man als Bürger*in einer Demokratie wissen muss: Demokratie bracht Demokraten (auch ein Zitat), und wer sich nicht um seine Demokratie kümmert, kann sie verlieren.
Über viele Jahrzehnte, seit 1949, haben die Deutschen in weitgehender politischer Stabilität leben können. Natürlich gab es auch damals immer wieder bedrohliche Situationen, aber im Großen und Ganzen hat sich die Demokratie lange als stabil bewährt. In den 1990ern, nach dem Ende des Kalten Krieges, ging es den Menschen so gut, dass sogar der Begriff „Spaßgesellschaft“ aufkam. Doch die Jahrzehnte funktionierender Demokratie können tragischerweise auch ein Problem darstellen: glaubt man, dass etwas sicher und sozusagen „für immer“ da ist, muss man sich nicht weiter darum kümmern – scheinbar.
Gerade heute, in Zeiten zunehmender politischer Polarisierung, wachsender Desinformation, globaler Krisen und Kriege, wird deutlich, wie fragil demokratische Strukturen sein können. Demokratie ist kein Selbstläufer – sie lebt vom Engagement ihrer Bürger*innen, von kritischem Denken, vom Dialog und vom Schutz gemeinsamer Werte. Wer heute den Eindruck hat, Demokratie sei selbstverständlich, sollte sich bewusst machen, dass sie nur so lange besteht, wie genügend Menschen bereit sind, sie aktiv zu verteidigen. Wachsamkeit, Beteiligung und Verantwortungsbewusstsein sind keine altmodischen Tugenden, sondern notwendige Voraussetzungen für die Zukunft einer freien Gesellschaft.
Weltpolitik und die eigene Nachbarschaft
Die großen Probleme der Welt – Klimakrise, Kriege, Ungleichheit – wirken oft überwältigend. Schnell entsteht das Gefühl: Was kann ich allein schon tun? Diese Frage ist berechtigt, aber gefährlich, wenn sie zur Begründung für Untätigkeit wird. Denn auch wenn niemand allein die Welt retten kann, bedeutet das nicht, dass nichts getan werden kann. Man kann es auch mit einer Liedzeile der Band „Die Ärzte“ pointieren, die 2003 sangen: „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es wär nur deine Schuld, wenn sie so bleibt.“
Das fängt vor Ort an: gerade dort, wo wir leben – in der Nachbarschaft, in der Gemeinde, in der Stadt – können wir konkret etwas bewegen. Ob durch ehrenamtliche Arbeit, die Unterstützung von Institutionen wie den Freiwilligen Feuerwehren oder dem THW, die Mitgestaltung lokaler Projekte oder das Fördern eines respektvollen Miteinanders: Wer sich vor Ort engagiert, stärkt das soziale Gefüge und macht die Gesellschaft greifbar besser. Jeder Schritt hin zu mehr Zusammenhalt, Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit in unserem direkten Umfeld ist Teil einer größeren Bewegung – einer, die vielleicht nicht alles verändert, aber vieles verbessert.
Am Tag der Deutschen Einheit wird oft über das große Ganze gesprochen – eben über Einheit, Freiheit und Demokratie. Doch diese Werte entstehen nicht abstrakt oder in schönen Reden, sie können auch nicht politisch beschlossen oder gesetzlich verordnet werden – sie entstehen im täglichen Miteinander. Eine harmonische, lebenswerte Gesellschaft wächst dort, wo Menschen füreinander einstehen, wo Verschiedenheit respektiert und Zusammenhalt gelebt wird. Wer sich engagiert, leistet damit auch einen Beitrag zum Gelingen des größeren Ganzen – über alle Grenzen hinweg.
(ps) 02.10.2025